Kieferabszesse gehören sicherlich zu den am häufigsten auftretenden Komplikationen
beim Kleinnager.
Je nach Genese und Lokalisation gehören sie zu den am schwierigsten zu behandelnden Folgen von Zahnproblemen, der Abszess liegt tief in der Kaumuskelatur, da die Eiterbildung vom Kiefer ausgeht: Eiter bei Nagern ist zäh und käsig.
Die Eitermassen können sich auch hinter dem Auge ansammeln und benachbarte Leitungsstrukturen verlegen wie den Tränennasenkanal, den Ausführungsgang von der Speicheldrüse etc..
Kieferabszesse entstehen i.d.R. aufgrund von Zahnfehlstellungen. Diese können angeboren sein oder sich durch unphysiologische Kauvorgänge entwickeln.
Pflaumengroßer, vollständig herausoperierter Abszess am Unterkiefer eines Kaninchens |
Oft erhalten unsere Nager ein Überangebot an Kraftfutter, das von ihnen natürlich bevorzugt aufgenommen wird. Dadurch fressen sie weniger Raufutter und das nötige Mahlen der Zahnflächen aufeinander bleibt aus, so daß die Zähne nicht mehr gleichmäßig abgenutzt werden.
Der kleine Nager kaut im wahrsten Sinne des Wortes schief.
Es können sich dadurch nicht nur scharfe Kanten an den Zähnen entwickeln, die tief das Backenfleisch aufschneiden und zu starken schmerzenden Entzündungen an Zahnfleisch und Zunge (s. Rötung an der Zungenspitze) führen, sondern ganze Zähne können bis zu 180° abkippen und in den Kiefer einwachsen.
Im schlimmsten Fall bildet sich im Unterkiefer eine Zahnbrücke aus, d,h, die Zähne wachsen bei mangelnder Abnutzung oberhalb der Zunge zusammen. Dann können die Tiere nicht mehr abschlucken, starke Abmagerung und Tod durch Verhungern und Verdursten sind die Folge. Nähern sich die Tiere dem Fressnapf und nehmen kein Futter oder Wasser auf, so ist dringend geraten, die Zähne tierärztlich untersuchen zu lassen.
Zahnschiefstellung bedeutet, daß der Zahn auf das umliegende Gewebe unphysiologischen Druck ausübt. Es bilden sich am Zahnfach kleine Hohlräume aus, in die Bakterien einwandern, was dann zu Abszessen führt.
Die Behandlung besteht darin, die Abszesskapsel samt Inhalt herauszuschälen.
Dafür muß das Tier in Narkose gelegt werden.
Es ist bekannt, dass Nager ein erhöhtes Narkoserisiko aufweisen, doch dieses kann nachweislich erheblich reduziert werden, wenn die Tiere intravenös infundiert, mit Sauerstoff versorgt und vor narkosebedingter Unterkühlung geschützt werden.
Kaninchen haben zwar sehr kleine Venen, doch mit Babykanülen aus der Humanmedizin, die sehr fein sind, ist auch bei so kleinen Tieren eine intravenöse Infusion möglich, die bedeutend effektiver ist als die subkutane (d.h. unter die Haut) Gabe von Flüssigkeit.
Eine einfache Spaltung des Abszesses reicht häufig nicht aus, da sich sehr leicht Rezidive bilden. Doch selbst wenn die Abszesskapsel entfernt wurde und die Zähne korrigiert wurden, ist der Heilungsprozeß häufig sehr langwierig.
Oftmals zieht sich die Behandlung über Wochen hin, in denen die Wundhöhle immer wieder ausgespült werden und sich neubildendes Sekret sorgfältig entfernt werden muß.
Manchmal sind sogar mehrere Operationen nötig.
Die Prognose ist stets vorsichtig zu stellen.
Siehe auch Fall des Monats : Oktober 2003
und Wissenswertes: Zahnerkrankungen bei Nagern